Siel- und Schöpfwerk an der Landspitze "Knock" bei Emden
Foto: 1. Entwässerungsverband Emden

Forschung für mehr Küstenschutz im westlichen Ostfriesland

TLDR:

Starkregen, steigender Meeresspiegel, Flächenversiegelung – die Folgen des Klimawandels und Baumaßnahmen führen dazu, dass die Entwässerung der Küstengebiete in Ostfriesland an ihre Grenzen stößt. Das gefährdet die Nutzung und Bewirtschaftung von Land, das Menschen dem Meer über Jahrhunderte abgetrotzt haben. Das Verbundprojekt „Klimaoptimiertes Entwässerungsmanagement im Verbandsgebiet Emden“ (KLEVER) hat Maßnahmen identifiziert, mit der die Region die Entwässerung weiterhin gewährleisten kann.

Lesedauer: 5 min Kategorie: Küstenschutz Datum: 17. Mai 2019

Die Menschen an den norddeutschen Küsten wohnen und arbeiten auf künstlich entwässertem Land. Über Jahrhunderte wurde Boden trockengelegt, um mehr Lebensraum zu schaffen, der bewohnt und bewirtschaftet werden kann. Die Höhen dieser Gebiete bewegen sich nur wenige Meter unter bis über dem Meeresspiegel. Landwirtschaft oder die Bebauung der Küstenregionen sind nur möglich, weil das Land über Entwässerungskanäle und Siele (Tore in den Deichen) und Pumpkraft in Schöpfwerken entwässert wird. Die Planung des Sielsystems im westlichen Ostfriesland fand in den 1950er und -60er Jahren statt, deren Umsetzung wurde gerade abgeschlossen. Nun stand eine Prüfung an, inwiefern das System den künftigen Herausforderungen gewachsen ist und welche Maßnahmen ergriffen werden sollten.

Vor diesem Hintergrund haben sich Forschende der Universität Oldenburg und der Jade Hochschule gemeinsam mit vielen Akteuren aus der Region mit dem Projekt „Klimaoptimiertes Entwässerungsmanagement im Verbandsgebiet Emden“ (KLEVER)  das Ziel gesetzt, die Folgen des Klimawandels auf den Wasserhaushalt im Westen Ostfrieslands zu untersuchen und Maßnahmen zu erarbeiten, mit deren Hilfe die Küstenlandschaft vor den künftig steigenden Wassermengen geschützt werden kann. Da die Region typische Merkmale der deutschen Küstenregionen trägt, lassen sich die Ergebnisse und Lösungen auf andere Regionen übertragen.

Mehr Hochwasser durch die Folgen des Klimawandels und Flächenversiegelungen

Anhand von Klimamodellen des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung haben Dr. Helge Bormann und Jenny Kebschull von der Jade Hochschule zunächst eine Projektion für die künftigen Wasseraufkommen in der Region erstellt. Die Studie kommt zu folgenden Ergebnissen:

  • Analog zur globalen Entwicklung wird der Meeresspiegel in der Deutschen Bucht – das heißt an Nordsee und Ostsee – zwischen 0,5 bis 1,1 Meter bis zum Jahr 2100 steigen. Im Zusammenspiel mit den im folgenden beschriebenen Effekten ist schon viel früher mit kritischen Hochwasserständen zu rechnen.
  • Aufgrund des Klimawandels sind in den Wintermonaten deutlich höhere Niederschlagsmengen für die Region des westlichen Ostfriesland zu erwarten, die das Gewässersystem mit einer Zunahme von 18 bis 26 Prozent an Abfluss belasten werden.
  • Zusätzlich kann aufgrund von Baumaßnahmen beziehungsweise Flächenversiegelung Regenwasser nur noch vermindert einsickern und verdunsten. Das führt dazu, dass langfristig fünf bis zwölf Prozent mehr Wasser dem Entwässerungssystem zugeführt wird.
  • Im Winterhalbjahr summieren sich die Effekte des Klimawandels und der Flächenversiegelungen auf.
  • Zugleich sind ganzjährig mehr punktuelle extreme Niederschläge zu erwarten.

„Die Kapazitäten des Entwässerungssystems in der Region des westlichen Ostfriesland werden spätestens ab etwa Mitte dieses Jahrhunderts nicht mehr ausreichen, um das überschüssige Wasser in die Nordsee abzuleiten. Schon heute geraten die Schöpfwerke von Zeit zu Zeit an ihre Belastungsgrenze“, sagt Bormann.

Spaziergänger stehen bis zur Wade in Hochwasser.
Foto: Jonathan Ford/Unsplash

Wie lässt sich die Küste in Zukunft schützen – einem erhöhten Wasseraufkommen zum Trotz?

Es müssen also schon heute mehr Küstenschutzmaßnahmen als bisher geplant werden, um den Lebensraum in der Region von morgen zu sichern. Bevölkerung, Landwirtschaft und Tourismus müssten sonst bereits in den nächsten 30 bis 40 Jahren auf Flächen verzichten.

Daher hat die Forschungsgruppe gemeinsam mit regionalen Verantwortlichen verschiedener Handlungsbereiche – darunter Wasser- und Landwirtschaft, Tourismus, Natur- und Katastrophenschutz sowie Raumplanung – Maßnahmen erarbeitet, die den Schutz der Küste vor steigendem Wasseraufkommen gewährleisten können. Über einen Zeitraum von rund zwei Jahren haben Prof. Dr. Ingo Mose, Dr.-Ing. Peter Schaal und Jan Spiekermann von der Universität Oldenburg sowie das Büro Küste und Raum mit rund 30 Vertreterinnen und Vertretern aus 17 Organisationen zahlreiche Akteursgespräche, Workshops und Arbeitsgruppentreffen durchgeführt. Ziel war es, Anforderungen an das Entwässerungssystem und -management zu identifizieren sowie geeignete Maßnahmen für dessen zukünftige Ausgestaltung abzuleiten. Dies war nicht immer einfach, da verschiedene Ansprüche an die Landnutzung und somit an die Entwässerung gestellt werden. Der Naturschutz wünscht sich beispielsweise eine Wiedervernässung bestimmter Gebiete zum Schutz von Lebensräumen für Vögel und anderer Tier- und Pflanzenarten, wohingegen aus Sicht der Siedlungs- und Landwirtschaft eher eine intensivere Form der Entwässerung präferiert wird. Im Verlaufe des Beteiligungsprozesses konnten bestehende Konflikte, aber auch mögliche Synergieeffekte diskutiert und erörtert werden. Am Ende entstand ein Katalog mit insgesamt 21 potenziellen Maßnahmenbereichen, die seitens der beteiligten Akteure anhand von im Projekt entwickelten Kriterien bewertet wurden.

Die verschiedenen Interessensgruppen einigten sich schließlich auf vier konkrete Maßnahmen, deren Umsetzung alle Akteure zustimmen würden, und kamen zu dem Konsens, dass diese in Summe am wirksamsten sind:

Erstens wäre eine Erhöhung der Pumpleistung in den vorhandenen Schöpfwerken umsetzbar. Zweitens könnte ein derzeit lediglich in Ausnahmefällen genutztes Schöpfwerk (am Standort Borssum) für den Regelbetrieb reaktiviert werden. So könnten mehr Pumpkapazitäten geschaffen werden, die sowohl bei Gezeiten-bedingtem Hochwasser als auch bei Starkregenereignissen flexibel eingesetzt werden können. Drittens könnten die Speicherkapazitäten des Großen Meeres erweitert und flexibler bewirtschaftet werden sowie viertens zusätzliche Wasserspeicher (Polder) in trockengelegten Senken, wie dem Freesumer Meer, geschaffen werden. Zwischenspeicher sind deshalb so wichtig, weil zwischengelagertes Wasser gezielt abgeleitet werden kann, um die Zielwasserstände in den Gewässern gleichmäßig zu halten. Vergrößerte Speicherkapazitäten haben außerdem den Vorteil, dass in sehr trockenen Sommern (wie dem im Jahr 2018) zukünftig auch Wasserreserven zur Verfügung stehen können.

Mit der Identifizierung geeigneter Anpassungsmaßnahmen durch die Akteure in der Region wurde das Projekt KLEVER erfolgreich abgeschlossen. Es hat sich gezeigt, dass das Element Wasser viele Handlungsfelder und Akteursgruppen in der Region verbindet und Synergieeffekte genutzt werden müssen. Zudem gilt es, das Bewusstsein für die enorme Bedeutung des Entwässerungsmanagements in der Region stärken und zukunftsfähige Ansätze für ein verbessertes Hochwasserrisikomanagement im Küstenraum zu entwickeln. Deswegen ist ein Anschlussprojekt geplant, über das wir gerne weiter berichten.

 

1 Gedanke zu “Forschung für mehr Küstenschutz im westlichen Ostfriesland

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