Schon lange ist bekannt, dass eine Süßwasserzufuhr durch Regen, Grundwasseraustritte und über Flüsse eine wichtige Eintragsquelle von Nährstoffen ins Meer sein kann. Diese unsichtbaren Nährstoff-, aber auch Schadstoffeinträge beeinflussen Lebensgemeinschaften im Meer und können zum Beispiel giftige Algenblüten verursachen. Für die Nordsee wurden bis jetzt überwiegend die deutschen Zuflüsse Elbe, Ems, Weser und Eider in der Forschung untersucht. Submarine – unter Wasser liegende – Süßwasserquellen, wie sie zum Beispiel auf Ostfriesischen Inseln zu finden sind, sind bisher wenig erforscht, obwohl sie einen vergleichbaren Nährstoff-Einfluss wie die oberirdischen Zuflüsse haben. Da es auf den Inseln keine Flüsse gibt, die in die Nordsee fließen, herrschen hier einzigartige Bedingungen, um Nährstoffeinträge durch submarine Grundwasseraustritte zu erforschen. Von Grundwasser wird dann gesprochen, wenn das Süßwasser tatsächlich im Boden versickert ist. Das Verbundprojekt „Barrier Island Mass Effect“ (BiME) untersucht seit 2016 diese „verborgenen Zuflüsse“ der Nordsee. An dem vom Mai 2016 bis April 2020 laufenden Projekt sind unterschiedliche Forschungsgruppen der Universität Oldenburg sowie das Max-Planck Institut in Bremen beteiligt.

Foto: Janneke Mertens-Fabian
Randnotiz: Süßwasserlinse – Die Besonderheit der Ostfriesischen Inseln
Die Ostfriesischen Nordseeinseln haben für ihren Wasserhaushalt im Vergleich zum Festland eine Sonderstellung, fünf der sieben Inseln können sich noch heute selbst mit Süß-/Trinkwasser versorgen. Dies schaffen sie dank so genannter Süßwasserlinsen, die sich im Sediment unterhalb der Inseln bilden und über viele Jahrzehnte aus Niederschlag füllen und stetig regenerieren. Da die Dichte von Süßwasser geringer ist als die von Salzwasser liegt das Niederschlagswasser in den mächtigen Sandschichten über dem salzigen Meerwasser. Das Süßwasserreservoir verjüngt sich an den Seiten, so dass es im Querschnitt an die ovale Form einer Linse erinnert. Es dauert mindestens 10 Jahre, bis das Grundwasser durch die unsichtbaren Flüsse ins Meer gelangt.
Die Nährstoff-Bilanz der Nordsee
In dem interdisziplinären Forschungsprojekt untersuchen Wissenschaftler_innen aus unterschiedlichen Fachrichtungen kurz gesagt die Bilanz der Nordsee. Das bedeutet in erster Linie: Welche Nährstoffe kommen durch die Süßwasserquellen rein, welche treten an anderer Stelle wieder aus und welche verändern die Zusammensetzung von Lebensgemeinschaften? Beispielsweise löst Eisen ein übermäßiges Algenwachstum aus. Ein besonderer Fokus der Arbeitsgruppe liegt auf der Analyse der wechselnden Zusammensetzung von Algen und Bakterien am Strand, die möglicherweise jahreszeitenabhängig unterschiedliche Nährstoffe aufnehmen, sodass diese erst gar nicht ins Meer gelangen. In großen koordinierten Aktionen – sogenannten Feldkampagnen – fahren Chemiker_innen, Biolog_innen, Hydrolog_innen und Ingenieur_innen für mehrere Tage nach Spiekeroog und nehmen Proben, die sie dann entweder direkt vor Ort oder zu Hause im Labor auswerten. Für die Gesamtheit aller Auswertungen einer Feldkampagne brauchen sie mindestens ein halbes Jahr. Ich durfte die Wissenschaftler_innen an einem Tag begleiten, viele Fragen stellen und mich an den Untersuchungen beteiligen.

Foto: Janneke Mertens-Fabian
Mein Tag auf Spiekeroog
Um viertel nach sieben ging es mit dem Forschungsboot „NAVICULA“ von Neuharlingersiel rüber auf die Insel. Treffpunkt am Strand war ein abgestellter Anhänger, in dem alle benötigten Messinstrumente und Gegenstände gelagert werden. Insgesamt waren zwölf Wissenschaftler_innen an diesem Tag am Strand unterwegs. Für die Verpflegung in Form von Carepaketen sorgte das CVJM Haus auf Spiekeroog, das die Wissenschaftler_innen während der gesamten Zeit der Feldkampagnen kulinarisch versorgt.
Zu Beginn des Tages lokalisierten Geolog_innen mit Hilfe eines sehr präzis messenden GPS-Gerätes (s. Bild) festgelegte und für die Aktion gleichbleibende Messstationen. So war es möglich alte Probestellen wiederzufinden, da sich der Strand und Wasserverlauf täglich verändern. Durch die GPS-Messungen soll es am Ende des Projektes auch möglich sein, diese Geländeveränderungen zu modellieren.

Meine erste Station war das Mikrobiologie-Team rund um Dr. Bert Engelen, Frank Meyerjürgens und Julius Degenhardt. In dem Projekt untersuchen sie mikroskopisch kleine Lebensgemeinschaften in der submarinen Mündung – unterirdische Zuflussstelle – sowie deren funktionale Vielfältigkeit und Stoffwechselprozesse, über die noch wenig bekannt ist. Interessant sind dabei vor allem Veränderungen im Jahresverlauf durch variierende Umwelteinflüsse, wie zum Beispiel die Verfügbarkeit verschiedener Nährstoffe im Einfluss von Süß- und Salzwasser oder in verschiedenen Bodentiefen mit abnehmendem Sauerstoffgehalt. Für diese Untersuchungen haben wir Sedimentkerne – einen Meter lange, senkrecht aus dem Boden gewonnene Proben – an festgelegten Probestationen entlang der Niedrigwasserlinie und auf einer Sandbank erbohrt. Aus den Kernen wurden dann in fünf verschiedenen Tiefen (0,10, 30, 50 und 100 Zentimeter) Proben entnommen. Die Analysen finden anschließend im Labor der Universität statt.
Anschließend begleitete ich die Forschungsgruppe für Marine Geochemie rund um Heike Simon. Sie interessiert sich vor allem dafür, wie groß der Anteil des austretenden Grundwassers und darin gelöster Substanzen in die Nordsee ist. Dafür haben wir entlang des Runnel (Priel vor einer Sandbank) Wasserproben genommen und sie direkt vor Ort hinsichtlich unterschiedlicher Kriterien, unter anderem Temperatur und Sauerstoff untersucht. Anhand des enthaltenen Sauerstoff- oder Nährstoffgehalts des Wassers können beispielsweise der Anteil des Süßwassers im Salzwasser und somit Austrittstellen bestimmt werden. Für weitere Untersuchungen, wie zum Beispiel der Zusammensetzung der Gesamtheit gelöster organischer Moleküle, werden die Proben mit ins Labor genommen.
Zuletzt durfte ich in die Arbeit von René Neuholz schnuppern und auch hier Wasserproben nehmen. Er promoviert an der Universität Oldenburg und untersucht hauptsächlich, wie sich Wasser aus heißen Quellen im Ozean verbreitet. Hierfür misst er das radioaktive Element Radium und beobachtet, wie weit und wie schnell es transportiert wird. Diese Methode lässt sich auch auf die Nordsee übertragen: Radium entsteht durch den radioaktiven Zerfall der Elemente Uran und Thorium, die zu kleinen Anteilen natürlich in Gesteinen, also auch in Sandkörpern und somit am Strand, vorkommen. Da Radium besser als Uran und Thorium im Wasser löslich ist, gelangt es zusammen mit dem Wasser ins Meer. Durch die Entnahme von Wasserproben an unterschiedlichen Stellen am Strand und vor der Küste und die Messung des Radiumanteils modelliert er, wie viel Grundwasser in die Nordsee strömt und wie weit es sich verbreitet.
Vielen Dank für alles!