Teilnehmer_innen bei einer der Bürgerwerkstätten
Foto: Ernst Schäfer, ARSU GmbH

Wat Nu? Forschende und Bürger_innen finden gemeinsam Lösungen für demografischen Wandel in unserer Region

TLDR:

Wat Nu? – Das war die zentrale Frage eines regionalen Forschungsprojektes zum Umgang mit dem demografischen Wandel in ländlichen Gemeinden des Wattenmeer-Raums. Die Antwort zum Projektende lautet: „durch eine Bereitschaft von Politik, Verwaltung, Wirtschaft und auch Zivilgesellschaft sich den Veränderungen zu öffnen, ihnen mit individuellen Lösungen zu begegnen und sich für ihre Kommune und die Belange der dort lebenden Menschen einzusetzen!“

Lesedauer: 5 min Kategorie: Partizipation Datum: 19. Juli 2019

Die Überalterung der Gesellschaft ist in allen Teilen Deutschlands zu erkennen.  Wobei ländliche Regionen, unter anderem durch Urbanisierungstendenzen (vor allem jüngere Menschen ziehen aufgrund der besseren Angebote in die Städte) und beruflich bedingte Abwanderung, in der Regel stärker betroffen sind als Städte. Bei touristisch attraktiven Gemeinden, wie bei uns im Norden, kommt häufig noch ein Zuzug von Pensionären hinzu, die ihren Urlaub in der Region verbracht haben und sich hier sehr wohlfühlen. Dadurch ergeben sich neue (veränderte) Anforderungen an die Mobilität/Erreichbarkeit, Nahversorgung und den Umgang mit dem Fachkräftemangel.

Das dreijährige Forschungsprojekt „Wat Nu? Demografischer Wandel im Wattenmeer-Raum“ der Universität Oldenburg untersuchte gemeinsam mit der Arbeitsgruppe für regionale Struktur- und Umweltforschung GmbH (ARSU) und der Gemeinde Wangerland was diese Herausforderungen für die Menschen vor Ort bedeuten und identifizierte mögliche Handlungsfelder; beispielhaft an den vier Kommunen Wangerland, Norden, Spiekeroog und Juist. Ziel war es, den Menschen vor Ort im Rahmen von Bürgerwerkstätten, Netzwerkabenden und Befragungen den demografischen Wandel näher zu bringen, sie zu aktivieren und gemeinsam konkrete, lokal-spezifische Lösungsideen zu gestalten.

Themen, die im Rahmen der ersten Bürgerwerkstatt diskutiert wurden
Foto: „Wat Nu?“-Projektgruppe

Ehrenamtliches Engagement fördern und anerkennen

„Ein zentraler Ansatzpunkt kann das gemeinschaftliche Engagement sein“, sagen Dr. Nora Mehnen und Ernst Schäfer aus der Projektgruppe „Wat Nu?“. Denn eines der Grundprobleme ist, dass klassische Wirtschaftsmodelle häufig nicht zum Tragen kommen, da viele der möglichen Lösungsansätze, wie beispielsweise Dorfläden, Ärztezentren oder Nahverkehrsnetz, nicht lukrativ genug sind. Um langfristig lebenswerte Perspektiven zu schaffen, brauchen wir deshalb ein zugeschnittenes und aktives Zusammenspiel von Politik, Verwaltung, Unternehmen und Bürger_innen. Es geht darum, die Wirtschaft neu zudenken, in gewissen Bereichen lokale wirtschaftliche Strukturen zu schaffen und sich anderer Organisationsformen zu bedienen, bei denen nicht mehr einige wenige das wirtschaftliche und organisatorische Risiko tragen, sondern viele. Denn auch Bürger_innen sind bereit, sich zu engagieren, um die Lebensqualität ihrer Kommunen zu gestalten und erhalten. Dafür müssen Räume und Rahmenbedingungen geschaffen und das Ehrenamt vor allem honoriert werden. Ziel sollte es sein, möglichst viele mitzunehmen, um im Sinne des Gemeinwohls zu handeln.

Vertrauensaufbau als Kern des Projekterfolges

Es war vor allem schwierig an die Menschen vor Ort heran zu kommen, denn die Bevölkerung wollte nicht mehr nur mit „externen Experten“ debattieren und über Lösungsansätze nachdenken, sie wollten handeln und etwas bewegen. Deswegen wurde in dem Projekt organisationsübergreifend gearbeitet und neben den beiden Forschungseinrichtungen auch eine Projektkoordination vor Ort, mit einem Arbeitsplatz im Rathaus Hohenkirchen (Wangerland), eingerichtet. Kirsten Zander suchte engen Kontakt zu den Einheimischen und baute Vertrauen auf. Dies schaffte die studierte Landschaftsplanerin indem sie allen Interessierten für Fragen, Ideen und Anregungen zur Verfügung stand und sie bei der Umsetzung eigener Projekte unterstütze. So war es möglich, dass Bürger_innen und Projektmitarbeiter_innen eng zusammenarbeiteten und gemeinsam praktikable Initiativen entwickelten.

Gründung eines Mobilitätsvereins als eines der Ergebnisse im Projekt

Beispielhaft lassen sich die Projektergebnisse anhand des Mobilitätsvereins Wangerland erläutern, der während der Projektlaufzeit gegründet wurde. Angesichts des als unzureichend wahrgenommenen öffentlichen Personennahverkehrs, befassten sich Bürger_innen und die Stadt in einer Veranstaltung mit alternativen Mobilitätslösungen. Im Raum standen dabei die Ideen eines Bürgerbusses und Dorfautos. Mit Unterstützung des „Wat Nu?“-Teams wurde zunächst eine Arbeitsgruppe gebildet, die u.a. eine Haushaltsbefragung durchführte und ein klares „Ja“ zu einem Bürgerbus im Wangerland erhielt. Die Diskussion der Befragungsergebnisse und Impulse aus dem Projekt heraus ergaben jedoch auch, dass ein Bürgerbus allein die Mobilitätsdefizite in der 176 qkm großen Flächengemeinde nicht lösen kann. Vielmehr braucht es eine Kombination verschiedener Angebote (Bürgerbus, Dorfauto, Carsharing, Lastenrad, E-Bikes), um für möglichst Viele eine Verbesserung zu erreichen. Deswegen wurde aus der „Arbeitsgruppe Bürgerbus“ zunächst die „Arbeitsgruppe Mobilität“ und schließlich wurde ein übergreifender Mobilitätsverein gegründet. Da die Gemeinde von diesem Engagement der Beteiligten so begeistert war und das Projekt langfristig verankern wollte, hat sie sich bereit erklärt zwei Busse anzuschaffen und eine Ansprechperson für den Bürgerbus in der Gemeinde zu stellen; um den laufenden Betrieb kümmern sich dann ehrenamtliche Helfer. Um auch Nicht-Aktive einzubinden, wurde beispielsweise im Juni letzten Jahres eine Bürgerbus-Rundtour organisiert. Mit dem roten Bürgerbus der Gemeinde Westerstede wurden mehrere Haltepunkte angefahren, an denen Interessierte die Möglichkeit hatten, sich das Fahrzeug anzuschauen und mit den Akteuren der Arbeitsgruppe über das Angebot des Bürgerbusses ins Gespräch zu kommen. Als nächster Schritt steht nun zunächst einmal die Erarbeitung eines Grobkonzeptes mit Zielen, Linienführung und Fahrplan an.

Mir hat dieses tolle Projekt wieder einmal gezeigt, wie gut Wissenschaft und Praxis sich ergänzen und gegenseitig inspirieren. Durch die Übermittlung der theoretischen Erkenntnisse konnten im Rahmen der Bürgerwerkstätten passende Lösungswege zum Umgang mit dem demografischen Wandel in unserer Region gefunden werden. Schön, dass so viele Menschen bereit sind, diese ehrenamtlich, mit hoffentlich großer Hilfe von Gemeinden, Politik und Wirtschaft, umzusetzen. Geben Sie auch gerne Ihre Meinung dazu in der Kommentarfunktion unten ab!

Ihre Janneke Mertens-Fabian

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte Sie auch interessieren:
Wesermarsch: Wie sieht der Notfallplan für Pflegebedürftige aus?
Gemeinsam mit Projektpartnern aus dem Landkreis Wesermarsch erstellen Professorin Dr. Frauke Koppelin und Doris Palm von der Jade Hochschule Pläne, die in der Wesermarsch im Katastrophenfall insbesondere die Versorgung vulnerabler
[…] weiterlesen
Klimaanpassung: „Der Schutz vor Starkregen ist eine kommunale Gemeinschafts- aufgabe!“
Infolge von Extremereignissen wie Starkregen und Überschwemmungen beginnt vielerorts ein Umdenken in Bezug auf den Städtebau. Vor allem Küstenstädte werden gegenüber dem Klimawandel verwundbarer. Wie aber kann es gelingen, die
[…] weiterlesen