Die Weltbank fördert unter anderem Projekte zur Energieversorgung, wie hier in Tansania.
Foto: World Bank Group

Wie viel hilft Entwicklungshilfe?

TLDR:

Kann Entwicklungshilfe dazu beitragen, die Wirtschaftsleistung von Ländern zu verbessern? Oder verpuffen ihre Effekte nicht nur, sondern verursacht sie sogar gewaltsame Konflikte? Um diese Fragen zu beantworten, untersucht Prof. Dr. Erkan Gören von der Universität Oldenburg etwa 60.000 Entwicklungshilfeprojekte der Weltbank aus rund 20 Jahren.

Lesedauer: 4:30 min Kategorie: Wirtschaftswissenschaften Datum: 23. Mai 2022

Auf den ersten Blick erscheint manches ganz einfach: Zehn Prozent der Weltbevölkerung lebt von unter 1,90 Dollar am Tag, in vielen subsaharischen Ländern sind es sogar um die 40 Prozent. Deutschland hingegen ist ein wohlhabendes Land, mit funktionierender Infrastruktur, einem guten Sozial-, Gesundheits- und Bildungssystem. Das Konzept von Entwicklungshilfe, ärmere Länder finanziell zu unterstützen, klingt also naheliegend. Trotzdem ist Entwicklungshilfe umstritten: Wenn ausländische Organisationen Schulen oder Krankenhäuser bauen, würden sich Regierungen aus diesen Bereichen zurückziehen, befürchten Kritiker_innen. Entwicklungshilfe führe zu Verteilungskonflikten oder komme erst gar nicht bei der Bevölkerung an, sondern lande bei korrupten Eliten. Inwiefern Entwicklungshilfe sich langfristig positiv auswirkt, wird auch durch wissenschaftliche Studien nicht eindeutig beantwortet. Selbst Untersuchungen, die sich auf die gleiche Datengrundlage beziehen, kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen.

An der Universität Oldenburg beschäftigt sich Erkan Gören, Juniorprofessor für Quantitative Methoden in den Wirtschaftswissenschaften, mit den Auswirkungen von Entwicklungshilfe. „Die lokale Verteilung von Entwicklungshilfe: Eine disaggregierte Analyse auf Grid-Zellen-Ebene“ lautet der Name des Forschungsprojekts, an dem er gemeinsam mit Prof. Dr. Jürgen Bitzer und Bernhard Dannemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, arbeitet und das von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) gefördert wird. Unter „Grid-Zellen“ kann man sich ein imaginäres Raster vorstellen, das Gören über den Globus legt. So unterteilt er die Erde in viele Rechtecke. Für jedes von ihnen untersucht er separat, welche Entwicklungshilfeprojekte der Weltbank dort umgesetzt worden sind. Dann analysiert er, wie sich die Projekte auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Konflikthäufigkeit in der jeweiligen Rasterzelle ausgewirkt haben. Etwa 60.000 Projekte aus den Jahren 1995 bis 2014 wertet er so aus.

Entwicklungshilfe oder Entwicklungszusammenarbeit?

Der Begriff „Entwicklungshilfe“ ist heute umstritten: Kritiker_innen bemängeln, dass er eine hierarchische Beziehung zwischen Gebern und Empfängern der Hilfen ausdrückt. Viele Hilfsorganisationen und staatliche Institutionen streben heute stattdessen eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe an und verwenden dafür den Begriff „Entwicklungszusammenarbeit“.

In diesem Artikel benutzen wir dennoch den Begriff „Entwicklungshilfe“ – zum einen, weil man davon ausgehen kann, dass es in vielen der von Gören untersuchten Projekte eine hierarchische Beziehung zwischen den beteiligten Akteuren gab. Zum anderen verwendet Gören den Begriff selbst in seiner Forschung.

Pauschale Hilfen, unklare Auswirkungen – Entwicklungshilfe in der Kritik

Die Zellen in Görens Raster sind verhältnismäßig klein: Sie haben  am Äquator eine Kantenlänge von circa 50 Kilometern. Dass er die Auswirkungen von Entwicklungshilfe in so einem begrenzten Umfeld untersucht, unterscheidet sein Forschungsprojekt von anderen Ansätzen. „Welche Folgen Entwicklungshilfe hat, ist bisher meistens nur auf Länderebene analysiert worden“, sagt Gören. Das sorgte oftmals für wenig aussagekräftige Ergebnisse. Denn selbst wenn nach der Umsetzung von Entwicklungshilfemaßnahmen die Wirtschaftsleistung eines Landes steigt, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass dieses Wachstum eine direkte Folge der Maßnahmen ist. Darüber hinaus profitieren nicht unbedingt auch die ärmeren Regionen eines Landes davon.

Ungenaue Untersuchungsmethoden sind aber nur ein Grund dafür, dass bisherige Forschung zu widersprüchlichen Ergebnissen führte. „Entwicklungshilfe war insbesondere zu Zeiten des kalten Krieges oft ein politisches Instrument“, erläutert Gören. Für Länder wie die USA oder Japan waren Geldzahlungen oder günstige Kredite ein wichtiges Mittel, um andere Länder an sich zu binden. Was dort mit den Geldern passierte, wurde oft weder im Vorhinein festgelegt noch im Nachhinein ausgewertet.

Besser ist die Datenlage bei Projekten der Weltbank, einer Entwicklungshilfeorganisation der Vereinten Nationen. Anders als ihr Name vermuten lässt, ist sie nicht nur für die Vergabe von Krediten zuständig. Sie berät und unterstützt auch bei der Umsetzung der Projekte und evaluiert sie anschließend. Komplett unabhängig von politischen Interessen ist auch die Weltbank nicht: Je mehr Geld ein Land beisteuert, desto mehr Gewicht hat seine Stimme, wenn es um die Verteilung geht. „Dennoch kann man davon ausgehen, dass ihre Kriterien transparenter sind als die einzelner Länder“, sagt Gören.

Gören wertet seine Daten aus, indem er sie auf Karten visualisiert. In dem gezeigten Ausschnitt sind die Rasterzellen mit grauen Linien dargestellt. In jeder Rasterzelle markiert Gören, wo es Konflikte und Projekte der Weltbank gegeben hat.
Foto: Konflikte: Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED); Weltbank-Entwicklungsprojekte: www.acleddata.com; AidData. 2017. WorldBank_GeocodedResearchRelease_Level1_v1.4.2 geocoded dataset. Williamsburg, VA and Washington, DC: AidData. http://aiddata.org/research-datasets.; Ländergrenzen: https://gadm.org/

Von der Weltbank bis zur NASA – die Datengrundlage

Mehrere Terabyte an Daten wertet Gören für seine Forschung aus. Neben den Daten der Weltbank nutzt er außerdem die US-amerikanische Datenbank ACLED („Armed Conflict Location and Event Data Project“), die Informationen zu lokalen Konflikten liefert. Schwieriger ist es, Daten zur Wirtschaftskraft einzelner Regionen zu gewinnen. Denn gerade aus ärmeren Ländern gibt es hierzu kaum Informationen. Um diese Lücke zu schließen, analysiert Gören Daten von einer Organisation, die auf den ersten Blick nichts mit Entwicklungshilfe zu tun hat: der NASA. Sie liefert ihm Daten zu Lichtemissionen einzelner Regionen. „Aus früheren Untersuchungen ist bekannt, dass hohe Lichtemissionen mit einer hohen Wirtschaftsleistung einhergehen“, erklärt er.

Bei der Datenanalyse experimentiert er unter anderem mit unterschiedlichen Größen seiner Rasterzellen. Denn dieser Faktor ist entscheidend dafür, welche Auswirkungen von Entwicklungshilfe er erfassen kann. Ein Beispiel: In einem Ort werden Straßen gebaut. Denkbar wäre, dass dies die Wirtschaftsleistung der Region steigert, da zum Beispiel Waren besser transportiert werden können. Wählt Gören die Rasterzellen aber sehr klein, sind die Effekte dieser Maßnahme möglicherweise nicht in der gleichen Rasterzelle sichtbar. Sind die Rasterzellen zu groß, wird es schwierig, die Auswirkungen der Maßnahme noch nachzuweisen. So wäre es beispielsweise möglich, dass es in einem anderen, weit entfernten Bereich der Rasterzelle zu einer Dürreperiode kommt. Das würde sich in den Zahlen niederschlagen, selbst wenn die Gegend rund um die neuen Straßen davon gar nicht betroffen wäre. „Rasterzellen mit einer Kantenlänge von 50 Kilometern haben sich als guter Kompromiss herausgestellt“, resümiert Gören.

„Aus früheren Untersuchungen ist bekannt, dass hohe Lichtemissionen mit einer hohen Wirtschaftsleistung einhergehen“, erklärt Gören. Daher greift er in seiner Forschung auch auf NASA-Daten zu Lichtemissionen zurück.
Foto: istock.com/Zenobillis

Auswirkungen von Entwicklungshilfe: mehr Wirtschaftskraft, aber auch mehr Konflikte

Noch bis 2024 läuft Görens Projekt. Erste Ergebnisse gibt es aber schon – sowohl zu positiven Effekten als auch zu den Schattenseiten von Entwicklungshilfe. „Auf der einen Seite konnten wir nachweisen, dass sich Entwicklungshilfe häufig positiv auf die Wirtschaftskraft der jeweiligen Regionen auswirkte“, sagt Gören. Dies zeigte sich besonders bei Maßnahmen zur Gesundheits- und Wasserversorgung oder bei Hilfen, um die Ertragsproduktivität in der Landwirtschaft zu steigern. Lediglich bei Bildungsprojekten, etwa dem Bau von Schulen, konnten Gören und sein Team kaum wirtschaftliche Auswirkungen feststellen. Dies liege aber vor allem an dem verhältnismäßig kurzen Beobachtungszeitraum von circa 20 Jahren, erläutert Gören.

Doch nicht nur die Wirtschaftsleistung steigerte sich, auch gewaltsame Konflikte kamen nach der Umsetzung von Entwicklungshilfeprojekten häufiger vor. „In den ersten sechs Jahren nach Abschluss der jeweiligen Projekte kam es in den Regionen zu mehr Protesten und Aufständen“, sagt Gören. Um das zu erklären, verweist er auf Studien von Forschenden aus Kolumbien und den USA. Sie konnten zeigen, dass Entwicklungshilfeprojekte häufig von Aufständischen sabotiert werden. Denn diese befürchten, dass ihr Rückhalt in der Bevölkerung aufgrund der verbesserten Beziehungen zwischen Bürger_innen, Entwicklungshilfeorganisationen und der Regierung schwindet. Einen Zusammenhang zwischen Entwicklungshilfe und größeren Konflikten wie etwa Bürgerkriegen konnte Gören aber bisher nicht feststellen.

Görens Ergebnisse beschreiben allgemeine, weltweite Tendenzen. „Selbstverständlich können die Auswirkungen von Entwicklungshilfe je nach Land sehr unterschiedlich sein“, räumt er ein. Wer aber die Effekte von Entwicklungshilfe nur für eine bestimmte Region untersuche, dessen Ergebnisse ließen sich schwer auf andere Länder übertragen. „Globale und lokale Studien sind beide wichtig und können sich gegenseitig ergänzen“, resümiert Gören.

 

 

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